Fabry als lysosomale Speichererkrankung, steckt womöglich mehr dahinter?

Ja! Zumindest bei einem gewissen Anteil der Patienten.

Es wird ja immer von einem Enzymmangel gesprochen, der zu Ablagerungen in den Zellen führt und dann die Fehlfunktionen auslöst. Bei vielen Missense-Varianten (d.h. in der DNA ist irgenwo auf dem GLA-Gen eine Aminosäure verändert) gibt es eine Restaktivität des Enzymes. Dennoch sind die Patienten oft auch schwer betroffen. Hier kommt ein weiterer Mechanismus zum Tragen: ER-Stress bzw. Unfolded Protein Response (UPR).

Kurze Erläuerung dazu: Durch die Variante wird zwar das Enzym gebildet, aber es ist z.T. fehlerhaft. Jetzt springt eine Art „Qualitätssicherung“ in der Zelle an. Das fehlerhafte Enzym wird „repariert“. Das ist ein normaler Vorgang in den Zellen, da immer wieder kleinere Fehler passieren können. Durch die Variante wird aber das Enzym permanent falsch gebildet und die Fehlerkorrektur ist überlastet. Das ist der ER-Stress, der zu Fehlfunktionen einer Zelle führen kann oder auch den Zelltod herbeiführt.

Die Caperone-Therapie „repariert“ das falsche Enzym ebenfalls und entlastet die Zelle. Hier wäre eine Enzymersatztherapie weniger wirksam.

Dieser Mechanismus wurde schon länger nachgewiesen, auch für einige der umstrittenen Varianten. Doch wird diese Erklärung nicht von allen Wissenschaftlern akzeptiert, weil sie den eigenen Publikationen entgegen steht.

Leidtragende sind wieder wir Patienten, uns wird dann keine oder eine weniger wirksame Therapie verordnet.

Gentest, was und wie wird eigentlich getestet…

Bei Fabry und vielen anderen Krankheiten wird mit einem Gentest festgestellt, ob es in der DNA (im Erbgut) Veränderungen gibt, die eine Krankheit verursachen können.

Seit einiger Zeit gibt es dafür das „Next Generation Sequencing“, d.h. es wird die tatsächliche Abfolge der Informationen auf einem Gen ermittelt. Früher konnte man das noch nicht und es wurden spezielle Tests erstellt, die auf ganz spezielle Gen-Abschnitte angesetzt worden sind (z.B. MLPA-Analyse) Damit kann aber nur ein Teil der Veränderungen nachgewiesen werden (nur Deletionen und Duplikationen). Da bei Fabry die meisten bisher bekannten Mutationen Missense-Mutationen sind (Austausch eines Basenpaares in der DNA) kann dieser einfache Test Fabry meist nicht nachweisen.

Eine komplette Analyse läßt sich nur mittels „Next Generation Sequencing“ (Kurz: NGS) durchführen. Dabei muß darauf geachtet werden, daß auch intronische Bereische analysiert werden, Details dazu haben wir bereits hier beschrieben.
Einen Überblick über verschiedene Test-Verfahren kann man hier nachlesen.

Leider gibt es auch hier Informationsdefizite. Uns liegt ein negativer Fabry-Gentest vor, der nur auf einer einfachen MLPA-Analyse beruht und daher nahezu keine Aussagekraft hat. In den Informationen zu dem verwendeten Test sind die Einschränkungen deutlich erklärt, dennoch war für den untersuchenden Genetiker an der Stelle Fabry ausgeschlossen. Das ist wieder ein Puzzleteil, warum die Diagnose von seltenen Erkrankungen so lange dauert. Es werden von sogar von Fachleuten falsche Werkzeuge benutzt und so falsche Diagnosen erstellt.

Für Fabry-Gentest stellt die Selbsthilfegruppe MFSH weiterwe Informationen zur Verfügung (für Patienten in Deutschland)

Was sind intronische Mutationen/Varianten und warum machen sie auch krank

Uns kontaktieren immer wieder Patienten mit Fabry assoziierten Beschwerden in deren Genetik Intronische Mutationen zu finden sind. Daher möchten wir unsere/eure Aufmerksamkeit auch wieder den Intronischen Varianten widmen:

Ein noch breiteres Thema sind intronische Mutationen. Wenn man die Fabry-Experten fragt, erklären diese meistens, daß intronische Mutationen gar nichts machen können, da in den Introns ja gar keine Informationen vorliegen. So einfach und so falsch ist die Antwort.

Wer die Details nachlesen möchte und Zugriff auf Pubmed hat: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28497172/ („Deep intronic mutations and human disease“, Direkt bei Springer: https://link.springer.com/article/10.1007/s00439-017-1809-4, Human Genetics volume 136, pages 1093–1111; 2017)

Kurz und stark vereinfacht: in den Introns liegen zum einen auch regulatorische Informationen, die Einfluß auf die Enzymproduktion haben. Zum anderen wird zwischen den Introns und Exons anhand von bestimmten Abfolgen der DNA-Sequenz bestimmt. Wenn durch Mutation im Intron ein neuer Exon-Start erzeugt wird, dann wird das Gen falsch abgelesen (auch wenn die „originalem“ Exons alle korrekt sind).

Leider wird bei den meisten Gen-Tests gar nicht auf intronische Mutationen geachtet, diese Bereiche werden gar nicht analysiert. Doch spätestens, wenn Lyso-GB3-Werte oder Enzymaktivität abnormal sind, muß man nach der Ursache forschen, die kann dann durchaus im Intron liegen.

Siehe auch der Artikel zu intronischen Mutationen auf unserer Webseite.

Studienlage: woher kommt der „Nachweis“ der Apathogenität von D313Y und anderen umstrittenen Mutationen

Verschiedene Veröffentlichungen versuchen die Apathogenität der umstrittenen Mutationen nachzuweisen. Einige davon beschreiben eher Einzelfälle und sind daher statistisch nicht belastbar. Andere beziehen sich bei der Aussage auf vorhergehende Veröffentlichungen. Wenn man jetzt mal die Quellenangabe verfolgt, woher die ursprünglichen Aussagen mit Belegen kommen, findet man sehr oft zwei Studien aus dem Jahr 2003:

  • Yasuda: „Fabry disease: characterization of alpha-galactosidase A double mutations and the D313Y plasma enzyme pseudodeficiency allele“
  • Froissart: „Fabry disease: D313Y is an alpha-galactosidase A sequence variant that causes pseudodeficient activity in plasma“

Beide Autoren haben eng zusammengearbeitet, d.h. die Studien sind nicht unabhängig! Die Studien weisen veränderte biochemische und physikalische Eigenschaften des modifizierten Enzyms nach. Sie gehen danach aber davon aus, daß diese Veränderungen keinen Effekt auf Zellebene haben. Aber bereits in dieser Studie werden gestörte Abläufe in den Zellen nachgewiesen, die später in Studien zu einer anderen umstrittenen Mutationen weiter untersucht wurden. Dort wurde gezeigt, daß diese Veränderungen zu sogenannten ER-Streß führen (ER=Endoplasmatisches Retikulum). Dieser ER-Streß ist ursächlich für Fehlfunktion der Zelle bis hin zum Zelltod. (siehe auch Unfolded Protein Response) D.h. die Aussagen zur Apathogenität sind oft nicht belastbar oder auch falsch.

Zum ER-Streß haben wir mehr in unserem Blog-EIntrag erklärt:
Fabry als lysosomale Speichererkrankung, steckt womöglich mehr dahinter
(Quelle u.a.: https://doi.org/10.1101/2022.09.27.509714)

Daher schreiben auch die meisten Autoren noch den Zusatz, daß aufgrund der geringen Fallzahl und verschiedener offener Fragen die Apathogenität nicht unbedingt nachgewiesen werden kann und weitere Forschungen nötig sind.

Notwendige Forschungen, die durch das absichtliche Ausfiltern der umstrittenen Mutationen im Genlabor unmöglich gemacht werden.

Beispiel:
Auch eine Veröffentlichung aus 2020 bezieht sich auf diese beiden Studien um die Apathogenität nachzuweisen.

In dieser Veröffentlichung („An expert consensus document on the management of cardiovascular manifestations of Fabry disease“, Linhart et al. 2020) wurde geschrieben: „As a cautionary example, the p.Asp313Tyr change results in a serum pseudodeficiency of AGAL-A activity and is not disease-causing. Similarly, a number of GLA variants previously thought to be disease-causing (e.g. p.Arg118Cys) have been shown to be of uncertain significance or likely benign. “ (Danach folgt eine Quellenangabe)

Wir haben die Quellen soweit zurückverfolgt, bis wir zur Originalquelle vorgedrungen waren:

In der Datenbank Varsome wiederum werden die Studie von Yasuda als Quelle benannt, um die Pathogenität nachzuweisen.

Wer legt fest, ob eine genetische Variante pathogen ist oder nicht?

Es gibt fünf Einstufungen hinsichtlich der Pathogenität von Mutationen/Varianten:

  •     pathogenic- pathogen (krank machend)
  •     likely pathogenic- wahrscheinlich pathogen (krank machend)
  •     uncertain significance- unklare Bedeutung
  •     likely benign – wahrscheinlich gutartig
  •     benign- gutartig

Die Gendiagnostikkommission hat beschlossen, dass Labore nur noch krank machende und wahrscheinlich krank machende Varianten im Befund mitteilen sollen. Varianten unklarer Signifikanz können im Befund erwähnt werden. Gutartige und wahrscheinlich gutartige Varianten sollen nicht mehr mitgeteilt werden.

Da in der Genetik eine Vielzahl von gutartigen Varianten vorkommt erscheint es durchaus nachvollziehbar diese heraus zu filtern.

Aber wer legt fest ob eine Variante pathogen ist oder nicht? Und was ist mit den Varianten, wo sich Wissenschaftler nicht einig sind (=Unklare Signifikanz)? Und wer nimmt die Einstufung vor?

Die Einstufung kann und muß von jedem Labor/Arzt/Zentrum selbst vorgenommen werden. Dazu gibt es Richtlinien des ACMG (American College of Medical Genetics). Diese Richtlinien sind aber z.B. für Fabry selbst in Diskussion. Außerdem lassen sie einen erheblichen Interpretations-Spielraum zu. Z.B. die Variante D313Y wird von Laboren als „likely benign“ (wahrscheinlich gutartig) eingestuft. Mit anderen Studien als Referenz kann man diese Variante durchaus auch als „likely pathogenic“ (wahrscheinlich krankmachend) einstufen (siehe z.B. Varsome-Datenbank – Link einfügen)

Die Studienlage ist derzeit nicht eindeutig, neuere Arbeiten weisen auf pathogene Faktoren hin. Dennoch wurden einige Varianten (wie die D313Y oder A143T) von einigen Laboren/Zentren neu als gutartig klassifiziert und werden nun nicht einmal mehr mitgeteilt.

Also ist einerseits die Vorgabe der Gentechnik-Kommission und die Entscheidung der Ärzte und Labore nicht nachvollziehbar, weil dadurch Patienten von Diagnose und Therapie aktiv ferngehalten werden. Außerdem wird dadurch auch die Forschung beeinträchtigt bzw. sogar ganz verhindert.

Wir kämpfen weiter für die umstrittenen Mutationen, aber der Kampf wird schwer und systematisch behindert.

Grundlagenforschung: Mutationen, die angeblich keinen Einfluß haben, führen doch zu Schäden

Der Artikel wurde gerade auf Facebook verlinkt:

https://www.scinexx.de/news/medizin/stille-mutationen-sind-doch-schaedlich/?fbclid=IwAR3mPx-sE978LEf_z1gvUYEboD3bqAylNRjUbbIhh_SP-tDZQUT0EdHpSno

Darin wird geschildert, dass Mutationen, die zum gleichen Enzym führen, dennoch zu Zellschädigungen führen können.

Das wurde hier an Hefezellen explizit nachgewiesen. Die Autoren gehen aber davon aus, dass die Effekte auch bei anderen Zellen/Organismen ähnlich sind.

Das würde auch die Aussage einiger Fabryspezialisten widerlegen, dass Mutationen, wie D313Y oder A143T, keinen Effekt haben.

Wir sind gespannt und werden auch dieses Thema verfolgen.

Die Seite Literaturrecherche wird entsprechend ergänzt…